maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Werkstoffe, Werkzeuge, Bohr- & Fräsparameter
KarlG
Site Admin
Beiträge: 4390
Registriert: 22.12.2015, 22:17

maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von KarlG » 07.10.2016, 12:23

Moin,

hier gabs letztens eine "heftige" Diskussion zu diesem Teil.

Das hat mich neugierig gemacht und ich habe mal eins bestellt (inzwischen ein Zweites).

Ist natürlich ein "indexable endmill" und keine Bohrstange. Rundlauf über jeden Zweifel erhaben (maximal) im einstelligen µ-Bereich.

Schaft: D=12mm, Kopf D=13mm, Länge 130mm, Z=1.
DSC_0190.JPG
DSC_0194.JPG
DSC_0195.JPG
DSC_0196.JPG
Nach Abzug von 30mm für die Spannzange hat man also eine maximale Auskragung von 100mm. (Schaft-)material ist Stahl und das wären dann 8,33xD Auskragung. Hätte ich aus dem Bauch schon ein bisserl Manschetten - insbesondere, wenn man mit etwas mehr Drehzahl in härteres Material geht.

Ich bräuchte etwa 55mm Auskragung um damit etwas tiefer in Alu zu gehen. Das wäre dann 4,6xD

Mal überschlägig gerechnet:
1. Mit AP=1mm in der Vollnut 18.000 rpm und 1,4m/Min. Material ist AW6061 mit 95HB (5083 wäre so um 70HB)
1.jpg
Schnittkraft 25N, Ablenkung 5,6µ


2. Mit AP=10mm und AE=1mm 24.000 rpm und 3,5m/Min
2.jpg
Schnittkraft 36N, Ablenkung 8,1µ


Ich vermute, dass der wg. der Angabe "carbide" auch den e-modul von Hartmetall für den Schaft anzieht, denn wenn ich das DIng mit "HSS Cobalt" und nahezu identischen Parametern rechne, kommt eine Ablenkung von 22µ raus.
3.jpg

Wie ist das jetzt einzuschätzen? Wie weit darf das Ding auskragen und wieviel "tool deflection" an der Spitze wäre in einem normalen Rahmen?
Einerseits aus Zerspanungssicht (Verschleiß, Vibrationen, Oberflächen) und andererseits aus Sicherheitserwägungen: Also wann wird es gefährlich, dass das DIng abknickt und evtl. ein eigenes Raumflugprogramm startet? :D

Weiß dazu Jemand was zu sagen?

Gruss
Karl

django013
Beiträge: 1706
Registriert: 18.01.2016, 17:12

Re: maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von django013 » 08.10.2016, 07:06

Moin moin,

bei der zitierten Diskussion ging es wohl eher um die Frage, ob das Teil nun ein Fräser oder eine Bohrstange ist und ob man eine Bohrstange als Fräser vergewohltätigen darf. In der Bucht wird das Teil eindeutig als Bohrstange verkauft. Nur bei den Chinesen ist es ein Fräser :shock:

Ich habe mal eben bei Hoffmann geschaut, der Kennametal Eckfräser 5720 (ab 420 Euro ;) ) dürfte am ehesten der Anforderung nach Auskragung entgegen kommen.
Wie man schön erkennen kann, haben die Wendeplattenfräser kleiner Durchmesser üblicherweise einen Arbeitsschaftdurchmesser, der kleiner ist als der Spannschaftdurchmesser. Damit soll verhindert werden, dass der Fräser tiefer eintaucht, als vorgesehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Fräser nicht für Spannzangenaufnahmen gedacht sind. Wohl eher für Schrumpfaufnahmen, bei denen fast der gesamte Spannschaft in die Aufnahme eintaucht.
Der Kyocera Eckfräser MEW (177.- Euro) ist in der Ausführung L eine Ausnahme. Bei dieser Variante ist der Spannschaft schmaler, als der Arbeitsschaft. Somit könnte der Fräser tiefer eintauchen. Über die zulässige Eintauchtiefe steht leider nichts in den techn. Daten.

Bei dem Teil, um das es hier geht, müssten 2 Belastungsarten unterschieden werden:
- das Eintauchen in Vollmaterial. Hier könnte der Schaft abgedreht werden, wie der Schraubenkopf einer feststitzenden Schraube. Ich denke, dass die üblichen Chinaspindeln nicht genug Schmackes dafür haben.
- das Kantenfräsen. Dadurch dass nur eine Wendeplatte verwendet wird, sind die dynamischen Lasten sehr hoch. 1/4 Umdrehung unter Last und 3/4 Umdrehung ohne Last - das führt zu starken Schwingungen, die von den Lagern der Chinaspindel und den Wagen der Fräse aufgefangen werden müssen. Zudem führen sie auch früher zu einer Ermüdung des Fräserschaftes.

Nicht umsonst schreibt Hoffmann, dass erst ab 4 Schneiden so ein Fräser wirtschaftlich arbeitet und führt nur Fräser mit min. 2 Platten.

Ich denke, hier wird Heinis Methode am ehesten zum langfristigen Erfolg führen: das Arbeiten nach Gehör :)

Gruß Reinhard

KarlG
Site Admin
Beiträge: 4390
Registriert: 22.12.2015, 22:17

Re: maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von KarlG » 08.10.2016, 09:05

Moin,
django013 hat geschrieben:bei der zitierten Diskussion ging es wohl eher um die Frage, ob das Teil nun ein Fräser oder eine Bohrstange ist und ob man eine Bohrstange als Fräser vergewohltätigen darf. In der Bucht wird das Teil eindeutig als Bohrstange verkauft. Nur bei den Chinesen ist es ein Fräser :shock:
Sehe ich noch etwas anders: Die (falsche) Bezeichnung "Bohrstange" wurde hergenommen, daraus ein hochgefährliches Szenario zu errichten. Dass das Ding ein Schaftfräser ist, kannn ja jeder sehen. Andererseits ist das eine "kreative" Kopie der BAP300-Serie von Mitshubishi und die fangen als Z1 bei 16mm Schaftdurchmesser erst an und haben dann maximal 85mm Länge. Vermutlich auch Schäfte aus Hartmetall. D.h.: Das muss man selbst bewerten und das versuche ich grade. Was Andere dazu schreiben, nehme ich zur Kenntnis, aber glaube erstmal gar nix.
Wie man schön erkennen kann, haben die Wendeplattenfräser kleiner Durchmesser üblicherweise einen Arbeitsschaftdurchmesser, der kleiner ist als der Spannschaftdurchmesser. Damit soll verhindert werden, dass der Fräser tiefer eintaucht, als vorgesehen.
Widerspruch: Wenn die Auskragung möglich ist und da die Kräfte vorn an der Fräserspitze auftreten, ist das (fast) egal, wie tief man reinkommt.
Auch von Mitshubishi gibt es die Modelle mit größeren Kopf - z.B.: Der BAP300R182S16. Akko hat mehrere lange D12-Wendeplattenfräser im Programm. U.A. auch einen 12/14 mit 120mm Länge. Allerdings Z=2.
Andererseits muss man bei den Chinesen immer damit rechnen, dass sie herstellen, was sich verkaufen lässt - ganz egal, ob das für den zweck überhaupt brauchbar ist. Dann werden eben "kreative" Bezeichnungen wie "Bohrstange" benutzt. RC-Machines hat sowas auch im Angebot - natürlich auch China.
Bei dem Teil, um das es hier geht, müssten 2 Belastungsarten unterschieden werden:
- das Eintauchen in Vollmaterial. Hier könnte der Schaft abgedreht werden, wie der Schraubenkopf einer feststitzenden Schraube. Ich denke, dass die üblichen Chinaspindeln nicht genug Schmackes dafür haben.
Siehe drittes Berechnungsbeispiel: Breaking torque=8,2Nm. Mit 2,2kW Chinaspindel schafft man höchstens 1/10 davon.
- das Kantenfräsen. Dadurch dass nur eine Wendeplatte verwendet wird, sind die dynamischen Lasten sehr hoch. 1/4 Umdrehung unter Last und 3/4 Umdrehung ohne Last
Real ist das Verhältnis eher noch ungünstiger.
- das führt zu starken Schwingungen, die von den Lagern der Chinaspindel und den Wagen der Fräse aufgefangen werden müssen. Zudem führen sie auch früher zu einer Ermüdung des Fräserschaftes.
Jupp - dazu dann die Spannzangenaufnahme. D.h.: Man hat erstens durch die Vibrationen das Risiko von Ermüdungsbrüchen und zweitens die Möglichkeit dass sich das Ding in der Spannzange lockert und anfängt zu fliegen.

Gruss
Karl

fliegerkind
Beiträge: 306
Registriert: 06.01.2016, 20:18

Re: maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von fliegerkind » 08.10.2016, 12:09

Wobei ich die weitverbreitete Angst vor weitfliegenden Fingerfräsern und auch diesen Dingern hier als höchst überschätzt beurteile. Zum Davonfliegen prädistiniert hingegen sind alle Teile, die außermittig gedreht werden. Z.B. Backenfutterschlüssel, Ausdrehköpfe, exzentrisch gespannte Halbzeuge. Von diesen Dingern habe ich Respekt, nicht aber vor diesen Minifräsern in unseren Spielzeugen.

Grüße, Heini

KarlG
Site Admin
Beiträge: 4390
Registriert: 22.12.2015, 22:17

Re: maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von KarlG » 08.10.2016, 12:49

fliegerkind hat geschrieben:Wobei ich die weitverbreitete Angst vor weitfliegenden Fingerfräsern und auch diesen Dingern hier als höchst überschätzt beurteile.
Sehe ich auch so - ich möchte aber wissen (zumindest mit großer Wahrscheinlichkeit), nicht glauben. Bene hat in der Ecke mal was dazu geschrieben und das war imho ein D8 mit über 130mm Auskragung - der sich unter ungünstigen Umständen selbst zerlegt und das auch vorgerechnet. Mal schaun, ob ich den Beitrag wiederfinde, wenn die Ecke wieder "on" ist.

Gruss
Karl

django013
Beiträge: 1706
Registriert: 18.01.2016, 17:12

Re: maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von django013 » 11.10.2016, 06:34

Moin moin,

Heinis Einschätzung teile ich auch voll und ganz :)
Wie man schön erkennen kann, haben die Wendeplattenfräser kleiner Durchmesser üblicherweise einen Arbeitsschaftdurchmesser, der kleiner ist als der Spannschaftdurchmesser. Damit soll verhindert werden, dass der Fräser tiefer eintaucht, als vorgesehen.
Widerspruch: Wenn die Auskragung möglich ist und da die Kräfte vorn an der Fräserspitze auftreten, ist das (fast) egal, wie tief man reinkommt.
wenn Du mit dem Widerspurch ausdrücken willst, dass es auch Ausnahmen gibt, dann gehe ich mit.
Wenn Du die Verdickung im Fräserschaft anders siehst, dann hätte ich gerne eine Erklärung dafür, welchen Sinn eine solche Verdickung hat, außer eben, dass man nicht mehr so tief eintauchen kann.

Gruß Reinhard

KarlG
Site Admin
Beiträge: 4390
Registriert: 22.12.2015, 22:17

Re: maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von KarlG » 11.10.2016, 09:41

Moin,
django013 hat geschrieben:wenn Du mit dem Widerspurch ausdrücken willst, dass es auch Ausnahmen gibt, dann gehe ich mit.
Allein in diesem Dokument haben 1/3 der Fräser einen Kopfdurchmesser der größer ist, als der Schaftdurchmesser. Das würde ich nicht als "auch Ausnahmen" bezeichnen, sondern als normalen Schnitt. Weiterhin ist zu sehen, dass auch etliche Fräser mit Kopf=Schaft z.T. recht große Freistellungen haben - bspw. die 200er und 250er Längen um 100mm freigestellt - damit kann mehr als die Hälfte der Fräser bis zu 100mm tief eintauchen und das schon ab D16.
Wenn Du die Verdickung im Fräserschaft anders siehst, dann hätte ich gerne eine Erklärung dafür, welchen Sinn eine solche Verdickung hat, außer eben, dass man nicht mehr so tief eintauchen kann.
Ist für mich eindeutig: DIe Durchbiegung zu minimieren und damit höhere Vorschübe und Spanvolumen zu schaffen. Da spielen mMn. noch 2 Faktoren eine Rolle:
1. Alles kleiner als D16 sind im Profibereich Exoten, weil man da kaum sinnvoll Wendeplatten unterkriegen kann und wenn dann nur wenige und kleine.
2. Alle Profimaschinen können größere Duchmesser spannen - d.h.: Da wo es bei unseren Käsefräs-Spindeln aufhört, fangen die grade erst an...

Gruss
Karl


Edith meint: Ich habe mal den AEM90-RT10-D16-C15-L160-Z02 im Vergleich zu dem Chinadingens gerechnet:
Annahmen: Auskragung 100mm, E-modul 500.000, Last an der Fräserspitze 100N ergibt 27µ statische Ablenkung
Der BAP300R C12-13x130-1T hat 26µ bei 55mm Auskragung. Sieht für mich in Ordnung aus, zumal der Akko sehr konservativ gerechnet ist...
Zuletzt geändert von KarlG am 11.10.2016, 09:59, insgesamt 1-mal geändert.

django013
Beiträge: 1706
Registriert: 18.01.2016, 17:12

Re: maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von django013 » 12.10.2016, 05:40

Moin moin,
Ist für mich eindeutig: DIe Durchbiegung zu minimieren und damit höhere Vorschübe und Spanvolumen zu schaffen.
Also da bin ich (noch?) nicht bei Dir. Schau Dir doch mal den verlinkten Akko-Fräser an. Die Schaftverdickung ist doch eigentlich nur ein (schlechter) Witz. "Zufällig" wird der Schaft dann genauso dick, wie der Fräsdurchmesser.
Für mich heißt das, dass wenn ich weiter als Länge "l" eintauche, es Schab- und/oder Rattermarken durch den Schaft gibt, weil der dann Kontakt mit den frisch gefrästen Flächen bekommt.

Sehe ich das etwa falsch?

... und die Verdickung ist so gering, dass eine Vergrößerung der Festigkeit vernachlässigbar sein dürfte.
Bleibt also nur die reine Schikane, alle die, die größer Tiefen als Länge "l" brauchen zum Kauf teurerer Spezialfräser zu zwingen :shock:

Gruß Reinhard

P.S. Eine Last von 100N halte ich eher für einen Hobbywert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass im industriellen Einsatz so konservativ gefahren wird.

KarlG
Site Admin
Beiträge: 4390
Registriert: 22.12.2015, 22:17

Re: maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von KarlG » 12.10.2016, 08:56

Moin,
django013 hat geschrieben:Für mich heißt das, dass wenn ich weiter als Länge "l" eintauche, es Schab- und/oder Rattermarken durch den Schaft gibt, weil der dann Kontakt mit den frisch gefrästen Flächen bekommt.
Jupp - dafür gibt es ja dann die länger freigestellten, oder die mit Kopf>Schaft.
Unabhängig davon (wie ich weiter oben schon schrub): Wenn Du einen mit L=120 hast und den 30mm tief einspannst, hast Du 90mm Auskragung. Wenn der nur 30mm freigestellt ist, kannst Du auch nur 30mm eintauchen. Damit hast Du aber trotzdem (nahezu) identische Kräfte an der Fräserspitze, wie mit dem Vergleichbaren, der vielleicht 50mm oder mehr freigestellt ist, wenn Du identische Parameter fährst.
... und die Verdickung ist so gering, dass eine Vergrößerung der Festigkeit vernachlässigbar sein dürfte.
Bleibt also nur die reine Schikane, alle die, die größer Tiefen als Länge "l" brauchen zum Kauf teurerer Spezialfräser zu zwingen :shock:
Kann Dir grad nicht folgen: Jeder mm mehr Schaftdicke sorgt für weniger Durchbiegung. Es geht ja nicht nur ums tief Eintauchen; manchmal muss man einfach nur tief runter (irgendwo vorbei). Ich wollte auch nicht das Geschäftskonzept von Akko diskutieren, sondern rauskriegen, ob das mit dem Chinading so funktionieren kann.
P.S. Eine Last von 100N halte ich eher für einen Hobbywert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass im industriellen Einsatz so konservativ gefahren wird.
Oben habe ich 25 resp. 36N für 1mm Zustellung in Alu ausgerechnet. Mit einem dünnen Fräser mit langer Auskragung kann man natürlich keine sportlichen Werte in Stahl fahren. Da nützt Dir auch ein Hartmetallschaft kaum was, weil der auch nur die Grenzen etwas rausschiebt...
..die echten Hochleistungsfräser sind alle kurz und dick - damit kommt man aber eben nicht tief rein, oder wenn, dann nur mit einem deutlich größeren "Loch". Nützt uns (mir) aber nix, weil ich die gar nicht spannen könnte.

Gruss
Karl

KarlG
Site Admin
Beiträge: 4390
Registriert: 22.12.2015, 22:17

Re: maximale Fräserauskragung - Frage an die Zerspanungsprofis

Beitrag von KarlG » 20.10.2016, 17:02

Moin,

da nun die 2,2kW-Spindel montiert ist und ich endlich D12 spannen kann, habe ich das Ding mal gekürzt auf 76mm Gesamtlänge.
DSC_0206.JPG
DSC_0207.JPG
DSC_0208.JPG
DSC_0209.JPG

Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 10 Gäste